Bücher übersetzen – Teil 8

Nichts fürchtet ein Übersetzer so sehr wie den nächsten Abgabetermin. Ein Termin ist ein Termin ist ein Termin – Ausreden gibt es nicht! In der Praxis herrscht sowohl in der Belletristik als auch im Sachbuchbereich häufig erheblicher Zeitdruck.

Nach der Lieferung der Übersetzung folgen im Herstellungsprozess Endredaktion, Satz, Druck und Auslieferung. All das geschieht mitunter innerhalb weniger Wochen, und die Abläufe sind eng verzahnt, so dass selbst eine vertraglich eingeräumte Nachfrist als rein theoretische Option zu betrachten ist.

Teil 8: Termine halten

Jede neue Buchübersetzung beginnt mit der Klärung von Schwierigkeit und Umfang, aus denen sich ein angemessener Bearbeitungszeitraum ergibt. Es folgt die Detailplanung, bis wann welches Kapitel fertig zu sein hat. Ich weiß also immer, wie viele Seiten pro Tag (oder pro Woche) anstehen. Was verschoben wird, muss abends oder am Wochenende erledigt werden.

Aus meiner Zeit als berufstätige Mutter mehrerer Kinder rate ich zur 75-Prozent-Planung: Wenn der Auftrag in sechs Wochen gut machbar ist, sollte man zwei Wochen „Luft“ einplanen. Ein Kind wird garantiert krank – manchmal auch alle (nacheinander!) und zum Schluss die Mutter.

Tipp 22 für angehende Literaturübersetzer: Abgabetermine großzügig planen

Wenn ohne diesen Zeitpuffer mittendrin die Korrekturfahnen für den vorherigen Auftrag ins Haus schneien und innerhalb von drei Tagen für die Druckfreigabe durchzusehen sind, steigt der Stress und damit Fehlerquote. Am Ende hängt der Haussegen schief, und wir müssen mit einem Kraftakt die Fehler ausmerzen, die nur durch den Zeitdruck entstanden sind.

Arbeiten unter Zeitdruck

Im Gegensatz zu unseren Kollegen aus Wirtschaft, Recht und Technik können Literaturübersetzer nur begrenzt auf hilfreiche Programme und Autosuggest-Wörterbücher zurückgreifen. Tricks gibt es trotzdem, zum Beispiel den bewussten Einsatz von Abkürzungen mit anschließendem gezielten Suchen/Ersetzen. Diesen kleinen Trick schildert Susanne Schmidt-Wussow in ihrem Blog 300 words so schön, dass ich an dieser Stelle den Link auf ihren Artikel „Wie hat sie das gemacht?“ empfehle.

Tipp 23 für angehende Literaturübersetzer: Schreibarbeit sparen durch Autokorrektur

Ich nutze diese Funktion in der Fantasy gern für knifflige Namen, im Sachbuch für komplizierte Fremdwörter, bei denen ich mich leicht verschreibe. Die Abkürzungen am besten im Glossar vermerken. Das stellt sicher, dass man nach dem Wochenende oder der unerwarteten, supereiligen Fahnenkorrektur des vorletzten Manuskripts weiterhin dieselben Abkürzungen verwendet. Auf das Glossar bitte auch unter Zeitdruck niemals verzichten – es ist Gold wert.

Wenn vor dem Abgabetermin noch zu viele Seiten stehen, liefere ich mir phasenweise einen Wettlauf gegen die Uhr: Wie viele Wörter/Seiten schaffe ich in einer Stunde? Kommentar setzen, Wecker stellen, und los geht’s! Am Ende wird gezählt. Bei solchen Hauruckaktionen sind jegliche Ablenkungen (Mails, Facebook, XING) tabu, selbst Kaffee gibt es erst hinterher.

Geheimtipp gegen Zeitfresser: Mails nur mittags und abends ansehen (das erhält den morgendlichen Tatendrang). Wenn es eilt, dürfen meine Kunden mich gern anrufen – in der restlichen Zeit arbeite ich konzentriert an ihren Texten.

Houston, wir haben ein Problem

Wenn alle Stricke reißen und der Termin partout nicht haltbar ist: Bitte greift rechtzeitig zum Telefon und ruft eure Lektoren an. Vielleicht kann ein zweiter Übersetzer einige Kapitel übernehmen (dazu braucht er allerdings euer aktuelles Glossar, siehe oben). Oder ihr liefert schon einmal die erste Hälfte ab, damit die Redaktion sich nicht zu sehr verzögert.

Tipp 24 für angehende Literaturübersetzer: Teamfähigkeit beweisen

Totstellen ist keine Lösung – wir sitzen zwar allein zu Hause vor dem Bildschirm, sind aber Teil des großen Dienstleisterteams für den Verlag.

Bewusst belohnen

Nach jedem Buch folgt bei mir persönlich unweigerlich ein „Nachauftragsloch“, in dem ich kein neues Projekt starten kann. Erfreulicherweise fällt in diesen Zeitraum das Erstellen der Rechnung. Ich stelle selten Vorschussrechnungen, sondern mag die große Abschlussrechnung. Das ist die Beute, die mir bestätigt, dass die viele Arbeit sich gelohnt hat, und mit der ich ermattet aufs Bärenfell sinke.

Zudem gibt es dadurch mehr Anlässe zu feiern: Einmal bei Abgabe, das zweite Mal bei der Zahlung und das dritte Mal, wenn die Belegbände ins Haus schneien (mit etwas Glück ist der vierte Anlass der Jahresscheck der VG Wort und jeder weitere die individuelle Erfolgsbeteiligung).

In der kleinen Auszeit nach der Abgabe kann man in Ruhe mit den Kindern zur Oma fahren, aber auch Schreibtisch und Postfächer aufräumen, bloggen, in der Buchhandlung nach Schätzen stöbern und nur zum Vergnügen (!!!) ein richtig tolles Buch lesen, um die Sprachspeicher mit wunderbaren Wörtern und Wendungen neu aufzufüllen.

Kennt ihr weitere Tricks und Tipps zur Selbstüberlistung? Wie gelingt es euch, Termine zu halten? Ich freue mich über Feedback und neue Anregungen.

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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