Identitätsdiebstahl bei Übersetzern

Freiberufliche Übersetzer werben für ihre Dienstleistungen nicht nur auf eigenen Blogs oder Webseiten, sondern auch auf Plattformen wie traduguide, Proz, Translator’s Cafe und anderen. Leider werden die dort eingestellten Daten mitunter für kriminelle Zwecke missbraucht.

Dieses Wochenende informierte mich der Berufsverband der freien Übersetzer und Dolmetscher, DVÜD, über Aktivitäten einer russischen Übersetzerbörse, die mit über 43.000 Übersetzern warb – ohne deren Wissen und über einen Hack oder Crawler von der eigentlich seriösen Plattform Proz gestohlen (wo die entsprechende Diskussion nachzulesen ist). Nach entsprechenden Maßnahmen ist die Börse mit den gestohlenen Daten nicht mehr erreichbar. Wenn jemand so viel Aufwand betreibt, wird sie jedoch vermutlich bald unter neuer Adresse irgendwo auftauchen.

Identitätsdiebstahl, Masche 1: Gestohlene Identität auf Online-Portal

Geschäftsmodell: Der Betreiber des betrügerischen Portals wirbt mit realen Personen, die angeblich für ihn übersetzen, einschließlich deren realen Spezialisierungen, frei erfundenen (im obigen Fall absurd niedrigen) Honoraren und ebenso frei erfundenen Lobeshymnen nicht existenter Kunden für niemals abgewickelte Aufträge.

Der Kunde reicht seinen Text zur Übersetzung durch den von ihm gewählten Übersetzer ein, bekommt (vielleicht) einen Text in der Zielsprache zurück und bezahlt diesen. Allerdings wurde der Zieltext nicht von der Person übersetzt, die der Kunde gewählt hat – die weiß nämlich weder von ihrem Profil in der Datenbank noch von dem Auftrag, hat den Text nie gesehen und erhält natürlich auch kein Geld dafür. Denkbar wäre aber auch, dass der Text nie geliefert wird und der Kontakt stattdessen für andere Zwecke genutzt wird, zum Beispiel zum Abgreifen der Kundendaten (einschließlich Bankverbindung) oder vertraulicher Texte.

Gegenmaßnahmen für Auftraggeber von Übersetzungen: Wenn Sie auf gleichbleibende Qualität Ihrer Texte Wert legen, vergeben Sie Übersetzungen am besten direkt und mit persönlichem Kontakt an den gewünschten Übersetzer (siehe Checkliste am Ende dieses Artikels: Wie finde ich den richtigen Übersetzer?).

Seriöse Portale ermöglichen den Direktkontakt. Seriöse Agenturen leiten Rückfragen ihrer Übersetzer weiter, zahlen angemessene Honorare, lassen jeden Auftrag Korrektur lesen und halten ihren Übersetzern den Rücken frei, damit diese sich voll aufs Übersetzen konzentrieren können.

Identitätsdiebstahl, Masche 2: Gestohlene CVs

Hintergrund: Bei Agenturen ist es nach wie vor üblich, dass Übersetzern bei Erstkontakt oder auch in regelmäßigen Abständen einen Lebenslauf, eingescannte Zertifikate über ihren Ausbildungsgang oder aber ein Portfolio einreichen.

Geschäftsmodell: Ein Betrüger wirbt auf einer seriösen Plattform mit einem interessanten Lockangebot und verlangt einen Lebenslauf (CV). Nun braucht der Betrüger nur noch eine passende, bisher nicht vergebene E-Mail-Adresse, mit der er sich bei neuen Auftraggebern mit Dumpingpreisen als qualifizierter Übersetzer bewirbt. Geliefert wird meist eine maschinelle Übersetzung – die mangelhafte Qualität fällt auf den realen Übersetzer zurück, der den Text (siehe Punkt 1) nie zu Gesicht bekommen hat.

Gegenmaßnahmen für Auftraggeber: Überprüfen Sie Kontaktdaten von Dienstleistern über die tatsächlichen Webseiten der Anbieter, über seriöse Plattformen wie LinkedIn oder XING und über die Berufsverbände (siehe Checkliste am Ende dieses Artikel: Wie finde ich den richtigen Übersetzer?).

Identitätsdiebstahl, Masche 3: Gestohlene Identität zur Nutzung auf anderen Portalen

Fallbeispiel: Dieses Modell ist mir glücklicherweise erst einmal untergekommen, nämlich als mich zwei Interessenten wegen eines angeblich von mir auf einer Fahrzeugplattform angebotenen Minitraktors anriefen (natürlich supergünstig!). Da ich noch nie in meinem Leben einen Traktor besessen hatte und auch nicht mit Fahrzeugen handele, war ich ziemlich verblüfft und dachte an einen Scherz. Der zweite Anrufer gab mir dann alle Daten des Angebots, so dass ich den (seriösen) Plattformbetreiber über den Betrugsversuch informieren konnte und die Anzeige innerhalb kürzester Zeit entfernt wurde.

Geschäftsmodell: Der Betrüger besorgt sich reale Namen und Adressen mit realen, aber nicht genutzten Telefonverbindungen – in meinem Fall eine Faxnummer, die ich seit Jahren nicht mehr verwendete, weil ich aus Ärger über die viele Faxwerbung das Fax abgeschaltet hatte. Unter diesen Daten wird ein betrügerisches Angebot ins Netz gestellt. Da unter der „Telefonnummer“ niemand erreichbar ist, verschicken die Interessenten über die Maske des Portals eine E-Mail, die jedoch an eine ganz andere Person geht. Der Rest verläuft vermutlich über Anzahlungen. Ich war jedenfalls heilfroh, dass nie jemand versuchte, den nicht existenten Traktor bei mir abzuholen!

Gegenmaßnahmen für Interessenten und Betroffene: Gesunde Skepsis, wie sie meine Anrufer bewiesen haben. Vorsicht vor Lockangeboten. Als angeblicher Anbieter den Betrug sofort bei der Plattform melden und eventuell mit Screenshot Anzeige gegen Unbekannt erstatten.

Bei Übersetzungen ist die Begleichung per Vorkasse im Einzelfall durchaus korrekt und branchenüblich. Vergewissern Sie sich jedoch immer, dass Sie es mit der richtigen Person zu tun haben, bevor Sie eine Zahlung leisten. Bei Zahlung über seriöse Zahlungsportale wie Paypal besteht eine gewisse Chance, im Konfliktfall Ihr Geld zurückzuerhalten.

Identitätsdiebstahl, Masche 4: Gefälschte Identität für Mobilfunknummer

Fallbeispiel: Ein Bekannter erhielt Post von einem Mobilfunkanbieters, er möge doch seine Karte aktivieren und aufladen, sonst würde diese demnächst aus dem Bestand gestrichen. Abgeschlossen wurde der Vertrag Monate zurvor angeblich in München (am angegebenen Tag war er nicht dort gewesen) und unter Vorlage seines Reisepasses (den er nie besessen hatte). Interessanterweise steht dieser Bekannte nicht im Telefonbuch und hat auch keine Internetpräsenz – wie also war der Anbieter an seine Anschrift gekommen?

Geschäftsmodell: Unklar. Entweder ein Versuch eines betrügerischen Mitarbeiters mit Hilfe von gestohlenen und teilweise erfundenen Daten die Abschlusszahlen hochzutreiben. Oder der Versuch, unter fremder Identität eine Mobilnummer für kriminelle Zwecke zu erschleichen.

Gegenmaßnahmen für Betroffene: Umgehendes Dementi an den Anbieter. Eventuell Anzeige gegen Unbekannt erstatten.

Checkliste: Wie finde ich den richtigen Übersetzer?

  1. Am besten mit gesundem Menschenverstand: Vorsicht vor Dumpingangeboten! Doppelte Vorsicht vor Versprechen wie „Schnell + Gut + Günstig“.
  2. Vertrauen Sie Ihre Texte niemals anonymen Dienstleistungportalen an.
  3. Nutzen Sie jede Möglichkeit zum Direktkontakt. Auf Fachmessen halten sich auch Fachübersetzer auf dem Laufenden, suchen das Gespräch oder informieren auf den Ständen ihrer Berufsverbände über ihr Angebot. Eine weitere Option sind Events wie die vom DVÜD organisierten „Meet your Translator“-Abende.
  4. Suchen Sie gezielt in den Datenbanken der großen Berufsverbände wie BDÜ (größter deutscher Übersetzerverband), DVÜD (MitgliederKooperationsseiten), ADÜ NordATICOMVdÜ (für literarische Übersetzer). Mit etwas Glück finden Sie sogar einen entsprechend qualifizierten Übersetzer aus der Nähe.
  5. Der BDÜ gibt regelmäßig Listen mit Fachübersetzern  für bestimmte Themengebiete wie Medizin, Wirtschaft, Technik, Recht und seltene Sprachen („Exotenliste“) heraus, die gedruckt oder als PDF-Download erhältlich sind.
  6. Fragen Sie Ihren Übersetzer: Freiberufler sind in der Regel gut vernetzt, nicht nur über einschlägige Internetforen, sondern auch über Kontakte aus eigenen Geschäftsbeziehungen, Fortbildungen, Übersetzerstammtischen und ähnlichen Aktivitäten. Wenn sie ein Thema oder eine Sprachkombination nicht selbst abdecken, können sie häufig auf qualifizierte Kollegen verweisen oder einen Tipp zum Weitersuchen geben.

 

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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