Lesetipp: Extinction (Kazuaki Takano)

Packendes Hörbuch für lange Fahrten oder fesselnde Urlaubslektüre gesucht? Mit meiner Liebe zu Thrillern mit Science Fiction-Einschlag griff ich bei Extinction (erschienen 2015 bei C. Bertelsmann) auf der Autobahnraststätte sofort zu, denn Stichworte „unbekanntes Virus im Kongo“ und „ein Kind mit übermenschlicher Intelligenz“, dessen Überleben gefährdet ist, versprachen auch einen ordentlichen Schuss Wissenschaft.

Diese Hoffnungen wurden erfüllt. Man nehme: Eine Handvoll machtbesessener Politiker samt ebenso skrupelloser Beratern,

„Wirklich furchterregend ist nicht der Verstand und schon gar nicht die militärische Macht. Das Beängstigendste auf dieser Welt sind die Menschen, die beides benutzen.“

dazu amerikanische Geheimdienstler mit ihrer sehr speziellen Auffassung von „nationaler Sicherheit“ (inzwischen weiß die Welt mehr darüber, doch die englische Originalausgabe erschien bereits 2011 in Tokio – fünf Jahre nach der Gründung von WikiLeaks, aber zwei Jahre vor den Enthüllungen von Edward Snowden),

„Es gab Computer, die die NSA nicht hacken konnte? Rubens war erschüttert.“

füge einen Trupp desillusionierter Söldner, marodierende afrikanische Bürgerkriegstruppen und Eltern hinzu, die für das Überleben ihrer Kinder jeden Preis zahlen,

„Diese Kraft, mit der sie ihre Kinder beschützten, musste eine allen Menschen gemeinsame Tugend sein, über alle Grenzen von Sprache, Religion und Nation hinweg.“

und ein paar Wissenschaftlern, die allen Widerständen zum Trotz versuchen, unter Zeitdruck das aus ihrer Sicht „Richtige“ zu tun.

„Die Geschichte der Wissenschaft ist nicht von Leuten geprägt worden, die sagten, etwas sei unmöglich.“

All diese Beteiligten werden durch die Konfrontation mit einem überaus ungewöhnlichen Kind so gründlich auf die Probe gestellt, wie sich das für einen spannenden Roman gehört. Der Leser wird zwischen drei Welten – amerikanischen Regierungskreisen, dem universitären Wissenschaftsbetrieb in Japan und dem zentralafrikanischen Urwald hin und her katapultiert, dass es einem schwindelig wird. Wie diese Bereiche ineinander verwoben sind und wer im Hintergrund die Fäden zieht, erschließt sich nur allmählich.

„Wenn intelligente Wesen feststellen, dass andere auf der Welt versuchen, sie zu beseitigen, was, glauben Sie, wird dann passieren?“

Ob die Schilderungen aus der pharmakologischen Forschung realistisch sind und ob es mitten im kongolesischen Regenwald tatsächlich stabile Internetverbindungen gibt, mögen Fachleute auf diesem Gebiet beurteilen. Da es sich jedoch ausdrücklich um Zukunftsmusik handelt, sollte man dem Autor künstlerische Freiheit zugestehen. In dieser Hinsicht bin ich großzügig.

„Niemand kann leben, ohne Fehler zu machen, und es liegt an einem selbst, ob man aus ihnen lernt oder nicht.“

Weniger gut umgehen kann ich mit Marionettenspielern, die aus dem Off die Fäden ziehen und die Züge aller Beteiligten, ob Gegner oder Verbündete, auf Tage und Wochen im Voraus genau planen. Fremdsteuerung (samt Desillusionierung, Rebellion und Reifung) ist eher ein Thema für Jugendromane. In diesem speziellen Buch passt es jedoch in den Kontext und regt zu „Was-wäre-wenn“-Gedankenspielchen an.

„Wenn ein dem Menschen überlegener Verstand auf der Welt erschien, wie würde dann eine Supermacht wie die USA darauf reagieren?“

Wieso die Wissenschaft menschliche „Evolution“ automatisch mit einer höheren Intelligenz und aggressiver Ausrottung der weniger hoch entwickelten bisherigen Menschen gleichsetzt, ergibt sich aus der Menschheitsgeschichte. Wer „Extinction“ aufmerksam liest, wird sich irgendwann die Frage setzen, ob der Menschheit nicht eine ganz anderes Evolutionsrichtung gut täte.

„Ich bestreite ja nicht, dass der Mensch auch eine gute Seite hat. Aber gute Taten gelten ja gerade deshalb als tugendhaft, weil sie der menschlichen Natur zuwiderlaufen.“

Hintergrund

Für die Übersetzung aus dem Englischen musste sich Rainer Schmidt mit Söldnern, Militärjargon, Waffentechnik, Kriegsgräueln, Welt- und Amerikapolitik, Geheimdiensten, Japan, Pharmakologie, seltenen Krankheiten, Genforschung, Anthropologie und vielem mehr auseinandersetzen. Im Orginal erschien der Titel auf Japanisch, die englische Übersetzung Genocide of One stammt von Philip Gabriel, der an der Universität Arizona japanische Literatur und Sprache lehrt. Der Autor, Kazuaki Takano, ist Japaner, hat in Los Angeles Drehbuchschreiben gelernt und in der Filmindustrie gearbeitet. Bisher wurden zwei seiner Romane verfilmt.

Hörbuchfassung  "Extinction"

Die ungekürzte (!) Hörbuchfassung des Hörverlags in der Lesung von Sascha Rotermund ist angenehm autotauglich. Hörbücher so einzusprechen, die man sie auf langen Fahrten auch neben Motoren- und Fahrtgeräuschen gut verstehen kann, ist eine echte Kunst, und hier war die Materie nicht gerade einfach – besten Dank für knapp 20 Stunden packende Unterhaltung! Ich empfehle ausdrücklich das Hörbuch, weil man dabei nicht wie im Buch oder eBook Gefahr läuft, ungeduldig weiterzublättern – Vorsicht, bei diesem Buch verliert man dadurch zu leicht den Faden.

Ist es jemandem aufgefallen? Frauen übernehmen in diesem Buch eher Statistenrollen; sie halten sich ganz klassisch im Hintergrund. Es ist ein Ausflug in eine Männerwelt – ob Autor, Hauptpersonen, Entscheidungsfindung, Imponiergehabe, Übersetzer oder Sprecher. Streckenweise fand ich auch dieses Element so interessant wie den Blick auf eine fremde Spezies.

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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