Lesetipp: Graphic Novels aus drei Verlagen

Graphic Novels – ist das nicht so was wie Comics? Oder Mangas? Nicht wirklich. Wie beim Comic wird eine Geschichte erzählt. Aber Graphic Novels wollen nicht nur unterhalten, sondern verstehen sich als „echte“ Literatur. Oder als erzählendes Sachbuch. Oder als packend illustrierte Reportage. Die Urheber sind zugleich Autoren und Grafiker; die Zielgruppe sind Erwachsene, teilweise auch Jugendliche.

Einen Anstoß zur näheren Beschäftigung mit diesem Format gab eine Verlosung des mairisch verlags anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2015. Gesunde Ernährung und Kulturtransfer in Form einer Bildergeschichte? Da habe ich gleich mal mitgemacht und hatte Glück (danke, mairisch verlag, für das nette Gewinnpaket).

Sohyun Jung: Vergiss nicht, das Salz auszuwaschen

Sohjun Jung: Vergiss nicht, das Salz auszuwaschen

Sohjun Jung verrät, wie man Kimchi zubereitet

Die Hamburger Grafikerin Sohjun Jung erzählt in ihrer liebevoll gestalteten Geschichte vom Aufbruch in eine neue Welt und von der Sehnsucht nach traditioneller Hausmannskost: Die koreanische Austauschstudentin Hana kommt mit der deutschen Ernährungsweise nicht dauerhaft zurecht. Was war zu Hause gesund? Kimchi. Doch in Deutschland ist das schwer zu bekommen, und in Korea schwört ohnehin jede Familie auf ihr eigenes Geheimrezept. Hana versucht, mit Kimchi ein Stück Heimat in die Fremde zu retten und wieder rundum gesund zu werden.

Ein wunderhübsches kleines Buch, das 2014 mit dem AFKAT-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Übersetzung und Korrektorat haben Anke Feuchtenberger, Antonia Kühn und Steffen Zillig als Team übernommen. Wer neugierig ist: Auf der Verlagsseite gibt es eine Leseprobe. (Weil ich kein Freund von Chili bin, habe ich den supergesunden Kimchi übrigens bisher noch nicht nachgekocht. Aber immerhin verfüge ich nun über eine sehr anschauliche Erklärung, was dabei zu beachten ist.)

Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia

Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia

Reinhard Kleist erzählt die Geschichte einer Olympiateilnehmerin aus Somalia

Selten hat mich ein Buch so sehr berührt wie „Der Traum von Olympia“ (erschienen 2015 bei Carlsen; empfohlen ab 14 Jahre). Der Zeichner, Reinhard Kleist, greift darin die Geschichte der afrikanischen Läuferin Samia Yusuf Omar auf. 2008 vertrat sie ihr Land, Somalia, bei den Olympischen Spielen in Peking. 2012 möchte sie in London antreten, aber als Frau bekommt sie zu Hause keine Chance, vernünftig zu trainieren. Die junge Sportlerin will jedoch nicht aufgeben, und als alle Versuche scheitern, beschließt sie, sich nach Europa durchzuschlagen. Samia hat einen Traum, ist ehrgeizig und mutig. Im April 2012 wagt sie nach einer gefährlichen Odyssee mit vielen Ungenannten auf einem Schlauchboot die Überfahrt von Libyen nach Italien. Dabei ertrinkt sie im Mittelmeer.

Im Nachwort erzählt der Journalist Elias Bierdel, ehemaliger Vorsitzender von Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte und Mitgründer und Vorstandsmitglied von borderline europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V., wie dieses Buch zustande kam. Die Arbeit des Vereins ist leider nach wie vor beklemmend aktuell.

Marjane Satrapi: Persepolis – eine Kindheit im Iran

Buch und Film "Persepolis" - auf der Suche nach Freiheit

Buch und Film „Persepolis“ – auf der Suche nach Freiheit

Die autobiographisch geprägte Geschichte „Persepolis“, in der deutschen Übersetzung von Stefan Pörtner erschienen bei Edition Moderne, entstand in den Jahren 2000 bis 2003 in Frankreich. Urheberin ist die Illustratorin Marjane Satrapi. Als Zehnjährige erlebt Satrapi 1979 die islamische Revolution und registriert sehr aufmerksam, wie die Repressalien des Schah-Regimes nahezu nahtlos in die der Mullahs übergehen.

Während des ersten Golfkriegs schicken ihre besorgten Eltern das rebellische Mädchen zur weiteren Ausbildung nach Österreich. In Wien eröffnen sich interessante Blickwinkel auf das Europa der 80er Jahre mit seiner sexuellen Freizügigkeit, aber auch Unverständnis, Fremdenhass und dem damaligen Rechtsruck der österreichischen Gesellschaft. Schwarz-Weiß-Bilder erzählen die eindringliche Geschichte eines jungen Mädchens zwischen den Welten, einer liebevollen, weitsichtigen Familie, eine Geschichte von Heimweh und verzweifelten Anpassungsversuchen.

Nach einer vorübergehenden Rückkehr in den Iran wanderte Marjane Satrapi in den 90er Jahren nach Frankreich aus, wo sie erst in Straßburg studiert und schließlich nach Paris geht. „Persepolis“ wurde 2004 auf der Frankfurter Buchmesse als Comic des Jahres ausgezeichnet. Das Werk diente als Vorlage für den gleichnamigen, mehrfach ausgezeichneten, animierten Zeichentrickfilm der Regisseurin, der 2007 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt wurde.

In den drei vorgestellten Werken geht es um ganz unterschiedliche junge Frauen, die auf ihre Art versuchen, in der modernen Welt ihren ganz persönlichen Platz zu finden. Die graphische Darstellung gestattet dem Leser, unmittelbar und ohne viele Worte in die Träume und widerstreitenden Gefühle der Protagonisten einzutauchen. Die Bilder brennen sich ins Gedächtnis ein und wirken lange nach.

Tipp für ÜbersetzerInnen mit der Kombination Deutsch <> Französisch:

Übersetzerworkshop zu Comics, Graphic Novels, Kinder- und Jugendbüchern im Dezember 2015 in Lausanne. Anmeldung bis 1.10.2015 möglich.

 

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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